Montag, 28. Juli 2014

Tolkiens Erbe - ein Interview mit Journal.lu

- Der deutsch-sprachige Artikel befindet sich ein bisschen weiter unten! -

Tolkien's legacy - a few starting questions

1.      What is more important for popular culture according to You: The original books (Hobbit and Lord of the Rings) or the movies? Why is that the case?

By overall reach : the books. The influence of both and either is simply gigantic, however. Contemplating just how much would be different without their existence is simply staggering.

2.      How important was Tolkiens work for the fantasy genre? Do You think, fantasy would even exist the way it does today, if Tolkien hadn’t written The Lord of the Rings?

Tolkien is commonly called « The father of modern fantasy literature »(1).

English, German and French Fantasy has been alive and well since well before Tolkien, and remains very much so.

« High fantasy » in almost its entirety goes back to Tolkien. 

3.      Do these books and movies have a certain influence on other genres as well?


Undoubtedly ! Not just Fantasy, but many of the sub-genres and spinoffs of Fantasy and Science Fiction, and the vast majority of authors working in those genres, genre fiction, and indirectly a lot of modern fiction, were profoundly affected by these books and movies.

4.       In how far do You think the books were a product of its time?


Context is always important. J.R.R. Tolkien the author couldn’t have been who he was or have done what he did if he hadn’t been a man who knew, directly and first hand, about war, about conflict, about heroism, loss, grief, and carrying on. Twice ! Equally, J.R.R. Tolkien the author couldn’t have existed without Tolkien the philologist, an Oxford university professor of Anglo-Saxon, a translator of Beowulf and an expert on Norse mythology, epic poetry, and much much more. None of those could have been anything without John Ronald Reuel Tolkien the man, able to live in and transcend his historical contexts. 


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Tolkiens Erbe - ein Interview mit Journal.lu

( Originaltext verfasst für ein Email-Interview mit dem Lëtzebuerger Journal, in dessen Ausgabe 29/07/2014 Auszüge hiervon und/oder auf Journal.lu erschienen sind )

Vor mittlerweile 10 Jahren haben die drei Herr der Ringe Filme allein über 1.5 Milliarden US Dollar in die Kinokassen gespült, und die derzeitig laufende Hobbit Trilogie verspricht diesen Erfolg noch einmal zu übertreffen. Von den Millionen Menschen die Neuseeland bereist haben seit 2001 gaben 6% an, der Ausschlagspunkt wären die Herr der Ringe Filme gewesen, weil Regisseur Peter Jackson hier archetypische Landschaften fand, die einer Vision von Mittelerde entsprechen. Schon vor diesen Filmen waren seit 1954 über 150 Millionen Exemplare dieser Bücher verkauft worden, von denen sehr viele von ganzen Familien, in Freundeskreisen und in Bibliotheken ein weitaus größeres Publikum erreicht haben, primär im Englisch-sprachigen Raum, und seither in über 40 Sprachen.  Wie kommt eine vor und während dem zweiten Weltkrieg verfasste Geschichte um Halblinge, Zwerge, Elben und Orks zu solchen Auswirkungen ?

Für die westliche Kultur sind diese Werke schlichtweg von sowohl fundamentaler als auch monumentaler Wichtigkeit : fundamental weil grundlegend, und die Basis für einen Großteil von dem was wir heute als Fantasy bezeichnen, aber auch für narrative Strukturen, die sich überall in Film und Literatur wiederfinden. Monumental, weil ein Meilenstein und ein Mahnmal, von weither sichtbar und weitreichend.

Ohne Tolkien’s Herr der Ringe gäbe es kein StarWars, kein Harry Potter, kein Hunger Games, kein Game of Thrones… (Twilight gäbe es wahrscheinlich trotzdem, doch ob es ohne den massiven Erfolg großer Fantasy Serien und Produktionen und den darauf beruhenden Fantasy Hype ein Publikum hätte finden können, ist fragwürdig). 

Ohne diese Filme, die darin pionierte Technik und den Erfolg von Weta Digital gäbe es auch kein Avatar, und vielleicht auch kein District 9, Avengers,und  Prometheus, oder zumindest nicht in dieser Form, um nur ein paar direkte Beispiele zu nennen. 

Die intertextual auftretenden narrativen Strukturen, wie wir über Geschichten, Heldentum und die Suche (the quest) denken, lässt sich im Einzelfall nur schwer aufzeigen, doch Echos finden sich überall, nicht nur in Fantasy und  Science Fiction, auf Mittelalter- und Fantasymärkten, in Brettspielen, Kartenspielen, Rollenspielen oder in Videospielen (noch immer spielen Millionen Menschen World of Warcraft, und andere Rollenspiele und Abenteuer erreichen große Teile der jüngeren Generationen) sondern über unser kulturelles Unterbewusstsein bis in die unerwartesten Ecken : In einem Interview (http://tdf.libsyn.com/tdf-ep-138-michael-everson) gab beispielsweise der Programmeur und Entwickler Michael Everson an, dass Tolkiens Bücher und die darin ausgelebten, voll entwickelten, exotischen Sprachen der Elben und Zwerge für ihn der direkte Anstoß waren, Linguist zu werden und schließlich den internationalen Sprachkodierungsstandard Unicode zu entwickeln. (2)

Der Herr der Ringe war mehr als nur ein Buch. Für den Leser war und ist es eine ganze Welt, im Detail erschaffen, innerlich konsistent, mit einer komplexen geopolitischen Hintergrundgeschichte, bevölkert von einer Vielzahl an Kulturen mit ihren eigenen, akribisch ins Detail ausgearbeiteten Sprachen, und gar eigenen Alphabeten. Und soviel mehr ! (3) Und diese Welt wurde seither weiter entwickelt, und weiter realisiert. Über viele Medien hinweg ist Herr der Ringe ein Phänomen.

Über das Phänomen Herr der Ringe wurden seither eine Vielzahl an Abhandlungen und ganze Bücher geschrieben. Ein schönes Beispiel : http://www.lordotrings.com/books/meditations.asp
Das wahre Kernstück des Phänomens  Herr der Ringe  ist, wieso diese Bücher, diese Filme, und diese imaginäre Welt sovielen, so sehr verschiedenen Menschen soviel bedeuten. Was ist es, was uns anspricht ? Welche Werte, welche Botschaften, finden wir darin, die uns bewegen ?

Dies ist für jeden Einzelnen unterschiedlich, doch findet sich hier nicht nur kulturell Spezifisches (und für imaginäre Kulturen Spezifisches), sondern sehr viel universell Menschliches. 

So fühlen wir uns angesprochen durch die vielen Momente unterwegs während der Abenteuer von Frodo, Sam, Gandalf, Aragorn, Boromir, Gollum, …, und was wir in ihnen lesen über Aufgabe, Suche, Abenteuer, Freundschaft, Treue, Vertrauen, Versuchung, Verrat, Schwäche, Versagen und Rückkauf, Tapferkeit, Heldentum, Erfolg, Verantwortung, Liebe, Sehnsucht, Unterdrückung, Gewalt, Macht, Ausbeutung, post-traumatischer Stress, Veteranenkonflikte, Umweltverschmutzung, Naturverbundenheit ,… 
Und diese Momente, diese Botschaften, diese Werte, bewegen Menschen in ihren Konflikten und Fragen und ihrer Suche nach dem Glück seit nunmehr  über 60 Jahren.

Ein Stück Schmuck in einen Vulkan zu werfen um das Böse zu besiegen ist natürlich so gesehen völliger Unsinn. In Mittelerde, innerhalb der Welt dieser Fantasy-Geschichte, macht das absolut Sinn, doch als Lösungsansatz in der realen Welt scheint ein solches Beispiel komplett nutzlos. Das Problem des Bösen allerdings, die subtile Versuchung und Korruption durch Macht, die weitläufigen Ausmaße von Gewalt und Unterdrückung, und dass auch der scheinbar Unbedeutendste von Allen dagegen ankämpfen und durch Mut, moralische Integrität, und die unverzichtbare Hilfe von treuen Freunden in diesem Konflikt etwas bewirken kann, das, hingegen, sind mächtige, aussagekräftige, in der realen Welt wichtige Botschaften. 

Fantasy ist aber auch immer mehr als nur Allegorie. (5) Was auch immer wir an Werten und Botschaften darin finden mögen, -und « The Lord of the Rings » ist ein reiches und subtiles Werk das seinen Lesern sehr, sehr Vieles, Wandelbares, und auch immer wieder Neues zu entdecken bietet,- so trotzt dieser Text schlussendlich doch allen definitiven Interpretationen. Die Magie bleibt erhalten. Wir mögen diese Werke analysieren und dadurch viel über narrative Strukturen, sozio-kulturelle Normen und Ideologie-übergreifende Werte und so auch letztendlich über uns selber lernen, doch das ist immer auch nur ein Anfang :
"The Road goes ever on and on". Die Geschichte geht immer weiter. 
(854 words)
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Danke für Ihre Fragen an Herrn Sven Wohl von Journal.lu, und Ihnen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Frohes Lesen! :)

(c) 2014/07/28 Christian M. Steinmetz
(B.A. English Literature, M.A. Science Fiction Studies)

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(Fußnoten, Anmerkungen meines Englisch-sprachigen Entwurfs und bibliographische Verweise folgen an dieser Stelle) 
(1) High fantasy, as it exists as a genre in our [Western languages-specific ?] cultural tradition, basically goes back to Tolkien,
while other strands in fantasy go back to others authors and previous genres, of course, and Tolkien as a classical philologist with a strong interest in and expertise on Beowulf, Norse mythology and saga, etc, is very strongly connected to classical traditions of fantastic literature, in heroic fiction and epic poetry, all the way back to Homer's Illiad and Odyssey and the Epic of Gilgamesh.
Through Tolkien the literary critic, that tradition has been reevaluated and valued. Through Tolkien the author, his predecessors and those that follow in his footsteps have gained in merit and appreciation (see Tolkien’s essay : « Beowulf - the monster and the critics » which revolutionised literary criticism of trivialised or overlooked genre fiction )
For the title "Father of Fantasy" see
- Mitchell, Christopher. "J. R. R. Tolkien: Father of Modern Fantasy Literature". Veritas Forum, http://www.veritas.org/talks/ (March 2009).


The Oxford companion to English Literature calls him "the greatest influence within the fantasy genre. (Sixth edition, 2000, page 352. Ed. Margaret Drabble.)
Clute, John, and Grant, John, eds. (1999). The Encyclopedia of Fantasy. St. Martin's Press.

(2) http://www.unicode.org/standard/WhatIsUnicode.html 

(3) "Tolkien's references to places, people, events (often of long ago) that are not part of the immediate story: these give the reader a conviction of the reality of the immediate scene — because it is shown to be part of a much greater landscape, a long history, a whole world of which it is only a glimpse. This is a strong technique for making an imagined world plausible. This is a technique which one can imitate, performing it in one’s own way. Now, with Tolkien, that history and geography already existed in his writings before The Lord of the Rings " (Ursula K. LeGuin) =>

The Lord of the Rings was among the first to ever offer a fully fleshed out, internally consistent, fully realised, and thus REAL and more than real world, that has a reality of its own and real consequences for people in the « real » world.

(4) LotR has in many ways created markets where there were niches. This is certainly true for the books, and the films have also proven extremely influential, with direct and indirect allusions cropping up everywhere since.

(5) This discussion I keep saving up for some other time. But to quote LeGuin again:

"No ideologues, not even religious ones, are going to be happy with Tolkien, unless they manage it by misreading him. For like all great artists he escapes ideology by being too quick for its nets, too complex for its grand simplicities, too fantastic for its rationality, too real for its generalizations.’ " (Ursula K. LeGuin)


Further reading:
J.R.R. Tolkien and His Literary Resonances: Views of Middle-earth, edited by George Clark,Daniel Timmons
J.R.R. Tolkien: A Biography, edited by Leslie Jones (p.126 - 140)

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